der Lehrer Wenzel

Texte zu Hans Jürgen Wenzel

Unter all meinen Kompositionslehrern hat Hans-Jürgen Wenzel wohl den stärksten Einfluss auf mich ausgeübt. Je älter ich werde, desto höher steigt mein Respekt, nicht nur vor dem hervorragenden Komponisten und bedeutenden Pädagogen, sondern auch vor dem Menschen Hans-Jürgen Wenzel, wie er stets voll Einsatz und Energie, unbequem bis aufbrausend, aber auch geistvoll und fröhlich durch ein nicht immer leichtes Leben ging. Er hatte ein feines Gespür für die Wahrheit und durchschaute die Lüge, wie blendend sie auch immer sich feierte. Er lebte einfach, arbeitsam und widmete sich aufopferungsvoll seiner Komponistenklasse, er war wie seine Musik: Radikal, mitreissend und doch voller Feinsinn. Er lehrte mich Ehrlichkeit und Unbeugsamkeit, in der Kunst und im Leben.

Hans-Jürgen Wenzels eigenes Leben mündete in eine Tragödie, und mit einem Gefühl der Hilflosigkeit begreift man (vielleicht etwas spät) das man nun – wo man seine Dankbarkeit nicht mehr direkt adressieren kann – nur noch seine wenigen uns verbliebenen Musikwerke weiterpflegen und ehren muss.
Karsten Gundermann

Herr Wenzel

Herr Wenzel raucht viel, Duett-Zigaretten, die raucht mein Vater auch. Er ist sehr humorvoll, spricht laut und energisch.
Die erste Aufgabe im Unterricht sind Volksliedbegleitungen.
Meine ersten Begleitungen sind ziemlich langweilig, später wird das besser, denn Herr Wenzel fordert einen heraus, provoziert zum Ausprobieren vieler Möglichkeiten. Er führt selber vor, wie das geht; ihm macht es Spaß, was Neues zu finden, und dieses Gefühl will er weitergeben.
Herr Wenzel isst gern und viel, das ist ihm wichtig. Dabei ist er sehr sportlich und spielt bei den Ferienkursen in einem Trainingsanzug mit Fußball.
Von mir selber kommen die Einfälle beim Komponieren nicht so leicht wie von einigen  der älteren Schüler. Herr Wenzel lockt aber einiges heraus, stellt Aufgaben. Wenn etwas Gelungenes entsteht, wird es von richtigen Musikern aufgeführt. Proben und Dirigieren kann Herr Wenzel auch, er geht sehr engagiert ran.
Wenn ein Schüler beim Komponieren was Experimentelles oder Ungewöhnliches probiert, wird er unterstützt. Allerdings wird verlangt, dass man sich bewusst ist, was man schreibt; nur so schnell Hingeschriebenes wird nicht gutgeheißen.
Beethoven schätzt Herr Wenzel besonders. Im Unterricht wird aber nicht immer nur über Musik gesprochen, sondern auch über alles Mögliche.
Mit Kindern kommt Herr Wenzel gut zurecht. Er respektiert die Eigenarten jedes Schülers, er hat den Jüngeren genauso wie den Größeren etwas Passendes zu sagen. Nur selten greift er in die Kompositionen ein und verändert was.
Aber wenn man die Woche über mal nichts Neues komponiert hat, kann er auch böse werden.
Herr Wenzel hat lauter Freunde, Schauspieler, Maler, Philosophen, Musiker und noch mehr. Zu vielen Dingen hat er eine rigorose Haltung.
Mit seinem Auto, einem Wartburg, verfährt sich Herr Wenzel manchmal in fremden Städten.
Er ist in der Partei, das irritiert mich nur ganz wenig.
Neue Musik ist nicht sehr beliebt. Herr Wenzel hat es nicht einfach, sich für seine eigene Musik und die seiner Schüler einzusetzen, zum Glück tut er es trotzdem, denn er kann kräftig und überzeugend und mit viel Charme in der Öffentlichkeit auftreten.
Die Reibung mit Leuten, die sich nicht so gern was Ungewohntes anhören wollen, nimmt er auf sich, und die ständigen Diskussionen darüber, ob Neue Musik wichtig ist, hat er nicht satt.
Herr Wenzel hat die Komponistenklasse gegründet und die Konzertreihe „Konfrontation“. Mir gefällt es, dass er humorvoll ist. Er ist ein Vorbild.
Konrad Möhwald

WILLE
Hans Jürgen Wenzel – einige Worte zu meinem Lehrer

Angefreundet mit dem Harakirigedanken, ein Kompositionsstudium aufnehmen zu wollen, sollte man realistisch verfahren: es war mir klar, dass ich ein Kompositionsstudium nur bei einem Lehrer aufnehmen würde, den ich bereits persönlich kenne, und zu dem nicht nur eine fachliche Beziehung, sondern auch der “persönliche Draht” bestehen würde. Anders als im instrumentalen Hochschulunterricht ist Kompositionsunterricht von Beginn an eine Angelegenheit, die Strukturen der Persönlichkeit des Schülers beleuchtet, angreift, an die Oberfläche hebt. Hans Jürgen Wenzel hat mir dies vor allem durch einen einzigen Begriff gezeigt, der durch das ganze Studium wie ein Faden gespannt war: “Wille”. Was lapidar klingt, umfasst in einem Wort die ganze Problematik, aber auch das Glück eines Kompositionsstudiums und die unnachahmliche Weise, mit der Wenzel auf eine gleichzeitig konsequent radikale und distanzierte Art den Schüler zur Überlebensfähigkeit in der heutigen musikalischen Welt anleitet. Er lässt den Schüler sein Profil, sein Talent und die Persönlichkeit selbst formen, ein Prozess des allmählichen “Aufweckens” also,  und er hält die Fähigkeiten und Talente des Schülers in stetiger Bewegung. Man kann den Begriff mit vielen Unterrichtsinhalten Wenzels in Verbindung bringen: etwa der Wille, sich handwerklich zu vervollkommnen. Der Wille, hinzuhören, in sich selbst hinein und in die Musik, die uns umgibt – vom Türenschlagen bis hin zum philharmonischen Konzert. Den Wunsch, dem Schüler ein nutzbares, nach allen Richtungen antennenartig ausfahrbares und konzentriertes Gehör mitzugeben, realisierte Wenzel mit einer Vehemenz, die Weghören, Danebenhören, Ungenauigkeit unmöglich machte. Ein Klavier beispielsweise brauche ich seit Jahren beim Komponieren nicht mehr, man hört in sich hinein und weiß: “es klingt, wie es klingt”. Weiterhin zählt der Wille, sich dauerhaft in Aufführungen eigener Kompositionen, aber auch als Ausführender ins Gespräch zu bringen. Denn wem nützt die Harmonie der Welt in einer Schreibtischschublade ? Und wie unendlich wertvoll ist die Perspektive, eine Bühne auch von der anderen Seite, vom Instrument her zu kennen ? Weiterhin wurde in der laufenden Arbeit der Wille diskutiert, sich auszudrücken. Dies geschah in so deutlicher, intensiver Weise, dass die eigene Frage “ist das Stück nun gut ?” allmählich ihren Sinn verlor. Und schließlich, in einem fortgeschrittenen Semester, der Wille, dem Lehrer zu widersprechen und zu sagen: “den Takt will ich so, und nicht anders”. Von Wenzel habe ich in sieben Jahren Unterricht eine persönliche Formung erfahren, die – der Vergleich ist nicht abwegig – in seiner Intensität mit der Prägung eines Kindes durch das Elternhaus vergleichbar ist. Wenzel verstand es, nicht nur Funktionen und Regeln zu vermitteln, sondern vor allem die eigene Haltung, Position und reflektierte Einschätzung von Musik zu fördern, die in einigen Punkten weit über das Handwerk und kompositorische Themata hinaus greift, sich aber vor allem in der schöpferischen Ausweglosigkeit des “Müssens” das Künstlerische bewahrt. Dabei ist die ästhetische Position des Lehrers kaum von Bedeutung, selten habe ich in den sieben Jahren Stücke oder Texte meines Lehrers gehört, wenig weiß ich über sein kompositorisches Werk – in Wenzels Unterricht geht es um den Schüler und seine Musik. “Hinhören” und “Sitzenbleiben”, das waren zwei harte, aber wesentliche Formeln eines Unterrichtes, der gleichermaßen Sinnlichkeit und Arbeitsdisziplin, d.h. die andauernde Auseinandersetzung mit Gehörtem und Experimentieren in den unendlichen Möglichkeiten der Musik einschloss. Dass Musik-Erfinden ein hochkomplexer Vorgang ist, der in seiner Dramatik, in seinem Kampf um jede einzelne Note und mit all den zu bestreitenden Niederlagen und Krisen verbunden immer noch Spass macht und eine ständige Herausforderung und überdies gesundheitliche Bereicherung ist, habe ich Prof. Hans Jürgen Wenzel zu verdanken, der vor allem eines für mich ist: ein Künstler und Freund.
Alexander Keuk

Erinnerung an Hans-Jürgen Wenzel

Es war in der achten Klasse, Spezialschule für Musik Dresden, da kam ein neuer Schüler in unsere Klasse-  Uwe Krause. Er stellte schon bald vor uns Mitschülern seine Lieblingsmusik vor, Lutoslawskis Cellokonzert und provozierte bei vielen die erste wirkliche Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik. Wir beide freundeten uns schnell an und er stellte mich bald seinem Kompositionslehrer, Hans Jürgen Wenzel vor. Dieser wurde, obwohl ich nie Kompositionsunterricht hatte, neben meinem damaligen Lehrer Eckart Haupt die für mich prägende Musikerpersönlichkeit. Bald schon probten wir mit gleichaltrigen Schülern Kompositionen der Schüler der Komponistenklasse Halle/ Dresden. Ich war beeindruckt, von den Kompositionen, besonders aber von der Haltung Wenzels. Und diese Haltung ist es, der ich mich immer noch versuche zu nähern, die mir, man verzeihe mir dieses plakative Wort- Vorbild ist. Er probte Werke von Kindern mit derselben Ernsthaftigkeit wie Kompositionen „erwachsener“ Komponisten. Von ihm habe ich gelernt, mich mit meiner Meinung über Kompositionen solange zurückzuhalten, bis ich sie wirklich verstanden und dementsprechend gut gespielt habe. „Olaf, ich habe festgestellt, daß  Musiker, die Mozart spielen können, auch Neue Musik spielen können, das gilt auch umgekehrt!“ – ein Satz von fundamentaler Bedeutung.  Zeitgenössische Musik war für Hans-Jürgen nichts losgelöstes, sie befand sich immer mittendrin in der Musikgeschichte und mittendrin in der lebendigen Gesellschaft. Ich denke da nur an seine Vergleiche mit anderen Künsten, mit dem Bauhaus, künstlerisch und besonders in seiner Verantwortung als Lehrer/ Meister zu seinen Schülern. Ich bin ihm und Helga Hasselmann, meinen Freunden Uwe Krause, Silke Fraikin, Agnes Ponizil, Christoffer Wolf, Karsten Gundermann und vielen anderen sehr dankbar für unzählige spannende Begegnungen mit ihrer Musik.
Die Musiker der Sinfonietta Dresden konnten noch mit Hans Jürgen Wenzel als Dirigenten arbeiten. Seine Haltung hat, denke ich, viele Musiker beeinflusst.
Es war für uns alle sehr traurig, als sich seine Biografie verdunkelte. Aber es bleibt so viel- seine Kompositionen und sein Lebenswerk, die Komponistenklassen in Halle und Dresden.
Ich wünsche allen, die in Hans Jürgens Sinn weiter mit jungen Komponisten und Musikern arbeiten, wo auch immer dies stattfindet, viel Kraft und Freude!
Olaf Georgi

Gegen Ende des Jahres 1981 war ich 12 Jahre alt. Ich hatte seit drei Jahren Klavierunterricht und in dieser Zeit, meist aus Liebeskummer, auch einige eigene Stücke „komponiert“. Meine Klavierlehrerin stand diesen Bestrebungen aufgeschlossen gegenüber und so war es nicht verwunderlich, daß sie mir eines schönen Tages einen Brief mitgab, der mich in die Musikhochschule Dresden einlud, wo ein gewisser Herr Wenzel eine Kinderklasse für Komposition ins Leben rufen sollte.

An dieses erste Treffen -im Dezember 1981- habe ich nur unvollständige Erinnerungen. Ich sehe mich mit anderen Kindern in einem unfreundlichen Raum an Schulbänken sitzen, ich sehe Herrn Wenzel an der Tafel demonstrieren, was für Möglichkeiten in einem Ton stecken, ich höre ihn, wenn er von der damals schon fünf Jahre existierenden Kinderklasse in Halle erzählt, von Ferienkursen, Fußballspielen, Chor singen, Konzerten. Und er spielte uns eine Musik vor, wie ich sie bis dahin überhaupt noch nicht gehört hatte: „Wie eine Woge von Licht und Kraft“ von Luigi Nono.

Der nächste Unterricht wurde, wie in der Folgezeit häufig, durch ein Telegramm der organisatorischen Leiterin, Frau Hasselmann, angekündigt: „Morgen 14.30 Uhr Unterricht bei Herr Wenzel.“ Wir sollten verschiedene Begleitungen zu Volksliedern erfinden, und so setzte ich mich nach der Schule schnell hin und kritzelte zu „Wenn alle Brünnlein fließen“ vier oder fünf solcher „linken Hände“- etwa in dem Stil, der mir aus meinen Musiklehrbüchern vertraut war. Herr Wenzel hörte sie sich an und sagte danach lachend: „Uwe! Ich denke Du willst Komponist werden, nicht Kopist!“

In dieser Bemerkung, die mir das Blut in den Kopf trieb, liegt für mich der Schlüssel zu Hans- Jürgen Wenzels Besonderheit als Lehrer. Nicht das Vermitteln von Kenntnissen und Fertigkeiten stand für ihn im Vordergrund, sondern das Bemühen um Originalität, um Fantasie. Aus diesem Bestreben ergab sich ganz zwanglos seine Methode, die ich am ehesten als „Unpädagogik“ beschreiben würde. Hans- Jürgen Wenzel nahm nie, auch nicht den jüngsten gegenüber, ein Blatt vor den Mund, er war immer ehrlich mit seiner Meinung. Die konnte für uns Schüler natürlich schmerzhaft sein, zumal er sie gern auf sarkastische Weise äußerte. Dennoch lernten wir dadurch besser und schneller, worauf es beim Musik machen, in der Kunst, im Leben ankommt: seinen Beitrag zu leisten und dies auf ernsthafte und kompromisslose Weise zu tun.

Bei dieser auf das „etwas eigenes ausdrücken“ gerichteten Bemühung wurden Unzulänglichkeiten in Kauf genommen. Ich erinnere mich noch, wie ich in meiner ersten Klaviersonate, um meine Absicht des „energischen“ zu verfolgen, nach und nach immer noch mehr freie Stellen im Manuskript mit Noten füllte (und der Pianist der Uraufführung, Steffen Schleiermacher, dann zwei Seiten durchstrich mit der Bemerkung: „unspielbar, das improvisierte ich besser“).

Viel mehr Wert als auf Theorie wurde dagegen auf Gehörbildung gelegt, auch hier wieder eher auf die Ebene des Ohrs: also das Hören auf Klänge, auf Töne, ja auf die gesamte Umwelt (eine Aufgabe lautete: höre jeden Tag fünf Minuten auf alles und schreibe es auf)- wohingegen weniger Wert auf die theoretische Bearbeitung des Gehörten (Erkennen von Intervallen, Funktionen usw.) gelegt wurde

Wenn auch die gedankenlose Übernahme von Klischees umgehend mit Zynismus geahndet wurde, so konnte man doch alles schreiben, auch tonal, auch Zitate, sofern man damit wirklich etwas sagte und Herrn Wenzel überzeugen konnte.

Komponieren mit Kindern bedeutet Auseinandersetzung mit zwei Schwierigkeiten.

So wie jedes Kind malt, erfindet auch jedes Kind Musik. Ich erlebe es nicht immer mit ungetrübter Begeisterung an meinen eigenen Kindern, da wird auf das Klavier gehauen, da werden Teller mit Löffeln bearbeitet, da werden Kindergartenerlebnisse vertont. Das Problem ist, auf diese Weise Erfundenes zu notieren, wobei die Fähigkeiten dazu in gar keinem Verhältnis zum Ausdrucksbedürnnis und zur Asusdrucksfähigkeit der Kinder stehen.

Die andere Schwierigkeit ergibt sich aus der Toilette von McDonalds und wird umso größer, je öfter die Kinder dort sind, also je älter sie werden. Durch die tägliche musikalische Erfahrung (und welcher Erfahrung!!) wird die musikalische Persönlichkeit des Kindes immer mehr überlagert und droht sogar ganz ausgelöscht zu werden. Ein Beispiel aus meiner Praxis: ein Schüler schreibt ein Stück im 4/4 Takt; ich weise darauf hin: „hier sind fünf Viertel im Takt“. Anstatt nun einfach „5/4 Takt“ zu schreiben, wird meist versucht, das „überzählige“ Viertel zu streichen. Diese Schematisierung zu bekämpfen und die darunter verschüttete Eigenständigkeit freizulegen ist ein besonders kniffliges Problem.

Komponieren mit Kindern muß sich diesen Schwierigkeiten stellen und Hans- Jürgen Wenzel stellte sich ihnen auf bewunderungswürdige und einmalige Art.

Von Anfang an hatte ich das Gefühl des Besonderen bei ihm. Das war kein Unterricht, wie ich ihn aus der Schule kannte. Es war vielmehr und eigentlich ein „gemeinsam sein“, ein „gemeinsam an einer Sache arbeiten“.

Ich erinnere mich an einen Ferienkurs in Dresden: wir sitzen an einem langen Tisch und Hans- Jürgen Wenzel teilt die Suppe aus. Und umgekehrt: während er im ersten Stock seines Hauses in Halle einen Schüler unterrichtet, kochen wir anderen inzwischen unten das Mittagessen.

Ich erinnere mich an einen langen Spaziergang mit ihm durch den Wald bei Gräfenroda (anläßlich eines Ferienkurses), diskutierend, wieso die Leute vielleicht Mozart hören wollen, aber unsere Musik nicht. Ich erinnere mich an Hans- Jürgen Wenzel im Fußballtor und an seine Mitwirkung bei einem Ferienkursabschlußfest als Indianer, dekoriert mit einem großen Sieb auf dem Kopf.

Ich erinnere mich auch an seine wenigen, einfachen aber doch so tröstenden Worte, als meine erste Liebe, zu einer Mitschülerin der Klasse, zerbrach.

Die Klasse weitete diese aufrichtige, besondere Lehrer- Schüler- Beziehung in ein im besten Sinne Familiäres. Für mich als Exot an meiner allgemeinbildenden Oberschule war das Erleben einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten eine Offenbarung (und eine Rettung zugleich). Zwei Besonderheiten zeichneten die Klasse aus:

Das gleichzeitige Beieinander von Kindern ganz verschiedenen Alters (8-18 Jahre) und deren Umgang miteinander (ich sehe noch Karsten Gundermann beim Erzählen von Gute-Nacht-Geschichten für die Kleineren) und die gemeinsamen Interessen aller.

In den Ferienkursen wurde abends gesungen, wurde Sport getrieben, wurde gemeinsam am großen Tisch komponiert, wurde diskutiert, wurden Geburtstage gefeiert (ich besitze noch einen wunderschön illustrierten Kanon von Karsten Gundermannn auf einen Text von Agnes Ponizil zu meinem 14. Geburtstag). Oft kamen Musiker, z.B. Friedrich Schenker oder Burkhard Glätzner und erzählten über ihre Instrumente. Ich erinnere mich an eine lange und hitzige Diskusion darüber, ob wir beweisen können, daß wir existieren, nachdem Dr. Hartmut Gorgs (von der Universität Halle) einen philosophischen Vortrag gehalten hatte.

Wir Dresdener trafen uns oft unabhängig vom Unterricht, etwa um Konzerte zu besuchen, oder uns Spiele für die Ferienkurse auszudenken.

Eigentlich taten wir nichts anderes, als gemeinsam zu leben. Und zwar auf eine Weise, wie man dies tun sollte: einem gemeinsamen Ziel zustrebend, darum ringend auf ernsthafteste, aber auch heiterste und fröhlichste Art.

Uwe Krause