Die Komponistenklasse- dieses Wort hatte für mich einen besonderen Klang ; - es stand für eine ferne, aber ungemein großartige und interessanten Gemeinschaft von komponierenden jungen Menschen, die sich in irgendwie geheimnisvollen Ferienkursen intensiv mit zeitgenössischer Musik beschäftigten, gemeinsam zu Konzerten fuhren und darüber hinaus sich auf vielfältige Art und Weise mit der Kunst und dem Leben an sich auseinander setzten. Später, während des Flötenstudiums lernte ich einige von ihnen näher kennen, es waren nun einmal die interessantesten Kommilitonen, die an der Hochschule zu finden waren und Freundschaften entstanden. Als ich dann selber zu komponieren begann, bedauerte ich es sehr, nicht eher auf den Gedanken gekommen zu sein, dies zu tun und zu diesem besonderen Kreis dazugehört zu haben. Eines Tages kam es dazu, dass ich mit klopfendem Herzen vor der Tür Hans Jürgen Wenzels stand. Ich studierte inzwischen Komposition als zweites Hauptfach und Prof. Herchet hatte mir nahe gelegt, während seines Freisemesters doch unbedingt bei ihm Unterricht zu nehmen. Ich erinnere mich an eine für mich sehr spannende Unterrichtsstunde, in der Stefan Wolpe, Kandisky und Beethovensymphonien vorkamen, an ein beeindruckend großes Stehpult, an dem ich mir Wenzel vor riesigen Partiturseiten vorstellte und dass ich benommen von vielen Anregungen und Eindrücken wieder in den Zug nach Leipzig stieg und zu Hause mit Feuereifer mein erstes richtiges Kammermusikstück zu Ende schrieb. Zu einer weiteren Unterrichtsstunde kam es leider nicht.
Nun bin ich, eher durch Zufall, selber an der Stelle, Kompositionsunterricht in der Komponistenklasse Halle zu geben. Es ist eine Arbeit, die mir großen Spaß macht, vielleicht die schönste Art, etwas zu unterrichten. Mit jedem Schüler und jedem neuen Stück stellt sich die Frage, wie man Komponieren unterrichten sollte, neu. Wenn ich an den Unterricht denke, fallen mir zuerst die Ferienkurse ein; - die schönste und wertvollste Zeit für das Unterrichten und Zusammensein mit den Schülern.
Komponieren ist eine sehr langsame Tätigkeit, deshalb immer in Gefahr, durch die äußeren, alltägliche Einflüsse gestört oder gar unmöglich gemacht zu werden. Sie steht unserem heutigen Leben, in dem immer alles so schnell gehen muss, schnell fertig sein muss, völlig entgegen. Vielleicht ist es heute als Kompositionslehrer eine der wichtigsten Aufgaben, diesen Freiraum zu schaffen, in dem Komponieren für junge Menschen überhaupt erst möglich ist. Beeindruckend ist, wie die Kinder sich in meinem Unterrichtszimmer oder dem gemeinschaftlichen „Komponierstübchen“ während der Ferienkurse sammeln. Die Luft steht förmlich vor Energie und intensivem Arbeiten und sie genießen es und halten zwischendurch einen kleinen Schwatz mit dem Nachbarn oder Hören beim Unterrichten zu, ohne dass es der Intensität ihres Arbeitens zum Nachteil würde; - im Gegenteil, es steigert sie und sie regen sich gegenseitig an. Manchmal, wenn ich sie da so beobachte, finde ich es sehr schade, dass die erwachsenen Komponisten so nicht arbeiten können und fast immer alleine in ihrem Zimmer mit dem weißen Blatt ringen müssen.
Wie lässt sich nun Komponieren unterrichten und was ist das Ziel dabei? Sicher sind nur wenige der Schüler dazu bestimmt, später einmal Komponisten zu werden. Auch wenn man selbst als Komponist so manches Mal am tägliche Überleben fast verzagt, liegt es eher fern, die Schüler dazu erziehen zu wollen. Warum also Kompositionsunterricht und welche wichtige Erfahrungen sollte er heute vermitteln?
Die Quintessenz meiner Ausbildung an der Musikschule kann ich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Musik ist etwas sehr Schwieriges, mit einer Musiktheorie voller Regeln, bei denen man ständig etwas „falsch“ macht, genauso wie bei den zu übenden Stücken ja keine „falschen“ Noten gespielt werden sollen. Trotzdem habe ich es geliebt, Musik zu machen und musste erst an der Hochschule, voller Verzweiflung darüber, immer noch nichts über Musik an sich erfahren zu haben, sondern nur wie man sie richtig und nicht „falsch“ spielt, anfangen zu komponieren. Das Komponieren eine dem normalen Leben sehr fern stehende Sache ist und mit vielen falschen Vorstellungen belegt ist, spüre ich auch, wenn die Besucher beim Tag der offenen Tür erschrocken schauen und schnell den Raum verlassen, wenn sie erfahren, dass hier Kinder komponieren.
Vielleicht ist das die wichtigste Erfahrung, die Kompositionsunterricht vermitteln kann: Musik ist nicht nur etwas, wo „falsche“ Töne vermieden werden müssen und strenge Regeln herrschen, sondern ein offener, wunderbarer Raum, in dem eigene Ideen, etwas, was man wie durch ein Wunder in sich findet, gestaltet und ausgeführt werden können; dass diese Ideen auf alle Fälle richtig und wertvoll sind und die Frage nach „Fehlern“ erstmal nicht sinnvoll ist.
Es geht um die Vermittlung und die Erfahrung eines „schöpferischen Tuns“ als eine der wertvollsten und beglückendsten Art des Tätigseins in unserer so übervollen, von Medien, Technik und Perfektion begeisterten Wirklichkeit. Erst vor dieser Grundvoraussetzung entsteht dann der Weg, auf dem es, je weiter er gegangen wird, um die Entdeckung künstlerischer und musikalischer Gesetzmäßigkeiten, um mehr oder weniger Ernsthaftigkeit und bessere und schlechtere Lösungen geht.
Jedes Kind malt, singt, tanzt und denkt sich Geschichten aus. Beim Komponieren wird es schon schwieriger, denn die intuitiven Ideen müssen in eine abstrakte Notenschrift übersetzen werden, die mit dem rein sinnlichen Klang an sich erst einmal nichts zu tun hat.
Um so erstaunlicher ist es, für mich zu sehen, wie verschieden die Kindern an die ersten Kompositionen herangehen, wie sie, zwar unbewusst, aber doch etwas ganz Persönliches von sich gestalten. Kompositionsunterricht sollte die Schüler darin bestärken, ihre eigenen Ideen erst zu nehmen und als wertvoll zu schätzen, die Anstrengung herausfordern, diese Ideen umzusetzen und zu gestalten und ihnen immer mehr Möglichkeiten und musikalisches Wissen dafür geben. Dann ist es letztendlich nicht entscheidend, ob ein Schüler später Komponist wird, sondern es geht um die Erfahrung schöpferischen Gestaltens an sich, dass in alle Lebensbereiche hinein reicht.
Karoline Schulz